Verbundstoffe aus Pilzwurzeln könnten Stahl und Beton ersetzen.
Aus Sägespänen und Pilzmycel gemacht: So sieht ein Verbundwerkstoff aus nachwachsenden Rohstoffen aus.
Foto: biotopa

Baustoffe aus Pilzgeflecht

09.12.2022

Wenn sich heute Abend der Vorhang zum ersten Mal für das Werk „Der Entrepreneur“ im Münchner Residenztheater hebt, findet eine Uraufführung im doppelten Sinn statt: Nicht nur das Theaterstück, auch die Bio-Bühnendekoration werden erstmals in Deutschland präsentiert. Letztere besteht aus Pilzmycel und damit aus einem biologischen Werkstoff, der zu 100 Prozent abbaubar ist.

Entstanden ist der Verbundwerkstoff auf Initiative des bayerischen Staatstheaters, das beim Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik der TU Dresden angefragt hat, ob die Wissenschaftler eine nachhaltige Bühnenkulisse anfertigen können. Realisiert wurde der Baumstamm von sechs Metern Höhe auf Basis von Holzspänen und Pilzmycel in Kooperation mit einem universitären Start-up.

„Für uns war das ein einzigartiges Experiment, aus dem wir sehr viel gelernt haben“, erläutert die Leiterin der Arbeitsgruppe Enzymtechnik Anett Werner. Zwar arbeitet das Team schon länger mit Pilzen, um im Labormaßstab beispielsweise die Zugfestigkeit biobasierter Kompositmaterialien zu testen, die eines Tages Mauerwerksteine ersetzen könnten. Aber Werkstoffe in solchen Dimensionen hatte die Ingenieurin und Ihr Team noch nie in Angriff genommen. Die Größe der Bauteile, die Kosten und die kurze Bearbeitungszeit von vier Monaten stellten die Beteiligten in Dresden vor eine große Herausforderung.

Vorliebe für Zucker

Genau wie Menschen lieben Pilze Zucker. Wenn sie mit dem „Süßstoff“ angefüttert werden, wachsen sie sehr schnell. Mit einer solchen Pilzkultur haben die Forscher das Substrat, also die Holzspäne, geimpft. Dieses Gemisch kann in eine jede beliebige Form gefüllt werden. Der Pilz wächst auf dem Substrat bei Raumtemperatur. Er ernährt sich von der Zellulose der Holzfasern und bildet dabei Chitin. In den folgenden Wochen wächst er weiter und bildet mit seinen Wurzelfäden (Hyphen) ein stabiles Gerüst um das Holzmaterial.

Nachdem das Biomaterial die richtige Größe und damit die gewünschte Form erreicht hatte, wurde es entnommen, in feuchter Atmosphäre weiterkultiviert und anschließend in einen Trockenofen gestellt, um das Wachstum zu stoppen und eine ausreichende Festigkeit zu erreichen. „Am Ende ist es Chitin, das Pilz und Holzteile zusammenhält. Denn 20 Prozent des Pilzmycels besteht aus diesem“, erläutert Anett Werner, die gemeinsam mit Kolleginnen in Experimenten zu Mauwerksteinen aus Pilzmycel nachgewiesen hat, dass solche Biobausteine nicht nur gute mechanische Eigenschaften aufweisen. Abhängig von Pilzart, Substrat und Zusatzstoffen lässt sich die Zugfestigkeit der Mycel-Substrat-Matrix weiter verbessern.

Kreislaufgerecht und nachhaltig

Seit geraumer Zeit experimentieren Forscher mit Biowerkstoffen aus Pilzmycel. Letztere eignen sich für vielfältige Anwendungen: als Kunststoffersatz für Verpackungen und Dämmstoffe, Lederimitate für Bekleidung oder Baumaterialien. Weitgehend unerforscht ist das Potenzial von Pilzen als Filtersysteme für Gewässer oder für den Schadstoffabbau auf Deponien.

Biobaumaterialien könnten beispielsweise dem Architekturwesen oder dem Bau- und Gebäudesektor neue Impulse geben, sind letztere für 37 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Allein in in Deutschland entfallen, laut Umweltbundesamt, mehr als die Hälfte (ca. 230 Mio. Tonnen) des Bruttoabfallaufkommens von ingesamt 416 Mio. Tonnen auf Bau- und Abbruchabfälle. Wie die Wissenschaftler zeigen, ist es möglich, ökologische Baustoffe zu entwickeln, die kreislaufgerecht und damit nachhaltig sind und keine Deponie oder aufwändige Wiederaufbereitung benötigen. Eines Tages sollten sie energieintensive Werkstoffe wie Stahl und Beton ersetzen.

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