Pestizid-Zulassung: fragwürdige Sicherheitsbewertung
13.07.2023
Bis auf einige Datenlücken und einem hohem langfristigen Risiko für Säugetiere gebe es keine kritischen Problembereiche, teilte kürzlich die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) anlässlich der Neubewertung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat mit. Allerdings weisen schwedische Wissenschaftler in einer Studie darauf hin, dass große Agrochemiekonzerne Toxizitätsstudien für bestimmte Pestizide zurückgehalten haben, die auf Entwicklungsstörungen beim zentralen Nervensystem hinweisen. Das Zulassungsverfahren der EU-Behörden, kritisieren die Forscher, sei fragwürdig, eine zuverlässige Sicherheitsbewertung nicht möglich.
Ihre Einschätzung über die Unbedenklichkeit von Glyphosat, schreiben die Efsa-Vertreter in ihrer Pressemitteilung, sei das Ergebnis der über dreijährigen Arbeit von Dutzenden Wissenschaftlern im eigenen Haus und der Mitgliedstaaten. Sie basiere auf der Auswertung vieler Tausend Studien und wissenschaftlicher Artikel.
Hierzu muss man wissen: In der EU stützt sich die Sicherheitsbewertung von Pflanzenschutzmitteln weitgehend auf Toxizitätsstudien, die von den Herstellerfirmen in Auftrag gegeben werden. Laut Gesetz müssen jedoch alle durchgeführten Studien in das Dossier aufgenommen werden, das den Behörden bei der Beantragung der Zulassung oder Erneuerung des Wirkstoffs vorgelegt wird, was wie die schwedische Studie zeigt, bei einem Viertel der Toxizitätsstudien nicht der Fall war.
EU-Recht wiederholt missachtet
Die Schlussfolgerungen der Wissenschaftler der Uni Stockholm sind eindeutig:
(1) …die Nichtoffenlegung von DNT(developmental neurotoxicity)-Studien gegenüber den EU-Behörden trotz eindeutiger rechtlicher Anforderungen ein immer wiederkehrendes Phänomen zu sein scheint,
(2) die Nichtoffenlegung zu einer Verzerrung der behördlichen Risikobewertung führen kann und
(3) ohne vollständigen Zugang zu allen durchgeführten Toxizitätsstudien keine zuverlässige Sicherheitsbewertung von Pestiziden durch die EU-Behörden möglich ist.“
Ob diese Erkenntnisse von den EU-Vertretern zur Kenntnis genommen wurden, lässt sich nicht klären. Fest steht, dass mit der Neubewertung durch die EFSA der Wiederzulassungsprozess von Glyphosat in der EU in seine finale Phase tritt. Die Europäische Kommission wird nun entscheiden, ob sie die Erneuerung der Zulassung vorschlägt. Die Mitgliedsstaaten werden voraussichtlich im dritten Quartal darüber abstimmen.
Aber ist das guten Gewissens möglich?
Gute Laborpraxis
Die Studienautoren der Fakultät für Umweltwissenschaften haben konstruktive Lösungen erarbeitet, damit die EU das Problem so schnell wie möglich beheben kann:
„… Anträge auf Zulassung von Pestiziden sollten mit Listen von Studien abgeglichen werden, die in Prüfeinrichtungen durchgeführt wurden, die nach der Guten Laborpraxis (GLP) arbeiten, um sicherzustellen, dass den Behörden alle Studien vorgelegt wurden. Außerdem sollten die Vorschriften dahingehend geändert werden, dass künftige Studien von den Behörden und nicht von den Unternehmen in Auftrag gegeben werden sollten. Dadurch wird sichergestellt, dass die Behörden Kenntnis von den vorhandenen Studien haben, und es wird verhindert, dass die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens Einfluss auf die Gestaltung, Durchführung, Berichterstattung und Verbreitung von Studien nehmen.“
Die Kritik der schwedischen Forscher stützt ein Bericht von Heal (Health and Environment Alliance) und Pan (Pesticide Action Network) Germany. Die beiden gemeinnützigen Organisationen erhoben im Jahr 2022 den Vorwurf, dass wissenschaftliche Beweise bei der der Bewertung des Wirkstoffs durch die zuständige europäische Fachbehörde nicht berücksichtigt wurden. Heal weist auf schwerwiegende wissenschaftliche Mängel und Verzerrungen bei internationalen und EU-Standards hin. Damit stünden die Gültigkeit der behördlichen Glyphosat-Bewertung und die vorläufigen Schlussfolgerungen in Frage.
Verdeckte Finanzierung
Darüber hinaus gilt es auch, bei vermeintlichen unabhängigen Studien vorsichtig zu sein. 2019 deckte die Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol auf, dass die damalige US-Firma Monsanto (heute Bayer) Studien eines privaten Forschungsinstituts zum Nutzen von Glyphosat für die Landwirtschaft verdeckt finanzierte. Dessen Leiter hatte gleichzeitig eine Professur an einer Universität inne und nutzte das Renommee der staatlichen Institution für die Verbreitung der Studienergebnisse.
Problematisch sei, so die Autoren von Lobbycontrol, dass „die Studien zu Lobbyzwecken eingesetzt wurden und weite öffentliche Verbreitung in der Debatte zu Glyphosat fanden.“ Dabei ging es weniger um die schädlichen Folgen für Gesundheit und Umwelt. Vielmehr wurde vor wirtschaftlichen Schäden für die Agrarindustrie gewarnt, sollte Glyphosat aus dem Verkehr gezogen werden.
Verbreitung von Lobbybotschaften
Die Studienautoren wirkten vertrauenswürdig, denn sie veröffentlichten Ihre Aufsätze unter dem Label der staatlichen Uni, an der ihr Institutsleiter eine Professur hatte, so dass sie nicht als Mitarbeiter der privat finanzierten Institution zu erkennen waren. Die Folge war, dass Medien, Politik und EU-Institutionen die Studien aufgriffen – ohne Bezug zu Monsanto.
Wie Lobbycontrol in seinem Bericht hinweist, waren deutsche Wissenschaftler nicht die einzigen, die in den Genuss der verdeckten Monsanto-Projektförderung kamen. Das Unternehmen hat ebenfalls in den USA und in Frankreich Studienaufträge an vermeintlich unabhängige Wissenschaftler vergeben und damit Wissenschaftslobbyismus betrieben.
Vertrauensfrage
Die Gretchenfrage lautet nun: Wem soll die Öffentlichkeit (noch) vertrauen?
Was sollte sie von der EU verlangen?
Wie wäre es für den Anfang mit der Umsetzung dieser Vorschlagsliste der schwedischen Umweltwissenschaftler?
- keine Auftragsstudien beteiligter Unternehmen
- strikte Transparenz
- Studienaufträge erfolgen nur noch durch Behörden
- Erfassung und Bewertung aller Studien durch unabhängige Prüfeinrichtungen mit guter Laborpraxis
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